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einleitung

Das Irgendwo entwickelt sich, als ein Projekt, das aus einem Outdoorparty-Kollektiv und einer Zwischennutzung der Fläche an der Amelie-Beese Straße entstanden ist, fortwährend weiter. Das Irgendwo ist ein selbstorganisiertes Kulturprojekt und versucht, möglichst kollektivistisch zu arbeiten. Das bedeutet unter Anderem, dass Entscheidungen in demokratisch gewählten Gremien getroffen werden, Verantwortung sinnvoll verteilt wird und wir einen transparenten Rahmen für Leadership schaffen wollen. Damit möchten wir eine gleichberechtigte Projektgemeinschaft und den gleichzeitigen Bedarf nach Professionalisierung abdecken.

An dieser Stelle möchten wir darauf hinweisen, dass wir eine eigenständige, mittlerweile neu besetzte Gruppe sind. Wir haben eine eigene Perspektive auf diesen Konflikt und die Probleme bzw. Entwicklungsfelder des Projekts. Wir teilen aber einen großen Teil der Kritik, die einige ehemalige Mitglieder im Frühjahr 22 geäußert haben.

Da wir das Projekt weitermachen, haben wir die Verantwortung übernommen, einige Themen zu bearbeiten. Wir möchten deshalb darüber berichten, was wir bis jetzt unternommen haben. Unter anderem haben wir uns mit einem Mediator und Coach für Organisationsentwicklung an vier Wochenenden unter dem Titel „Restrukturierung“ verschiedenen Themen gewidmet. Darauf folgten weitere Entscheidungen und Prozesse.

In der Restrukturierung (vom 17.12.2022 – 5.3.2023) haben wir uns mit den Ursachen, Vorwürfen und unterschiedlichen Perspektiven auf den Konflikt (der im März 2022 innerhalb des damaligen Kollektivs des Irgendwo stattgefunden hat) auseinandergesetzt. Dabei wurden sowohl die nach diesem Konflikt verbliebenen als auch die neu dazugekommenen Projektmitglieder einbezogen.Wir haben uns außerdem mit den Vorwürfen der ehemaligen Projektmitglieder auseinandergesetzt: dabei haben wir uns mit den von ihnen verfassten Statements und Texten beschäftigt, ehemalige Mitglieder befragt und angeschrieben, um einen möglichst guten Überblick über die Vorwürfe zu haben und diese umfassend zu bearbeiten. Mit den Erkenntnissen aus dieser Restrukturierung haben wir Ziele, Missionen und Visionen formuliert (siehe Leitbild) und eine neue Projektstruktur erarbeitet. Dazu gehören auch Veränderungen in Bezug auf unsere Kommunikation bzgl. Ehrenamt/Stellen, Umgang mit Interessenkonflikten und unser Verständnis des Kollektivbegriffs.

unsere struktur

Die in der Restrukturierung entwickelte neue Struktur zielt darauf ab, Verantwortung und Arbeitslast auf mehr Schultern zu verteilen als es bisher im Projekt der Fall war. Dadurch möchten wir Macht- und Verantwortungskonzentration in Zukunft vorbeugen und eine arbeitsteiligere und professionellere Arbeitsweise ermöglichen, sowie Entscheidungen dezentral zu treffen. Damit haben wir auf das Problem reagiert, dass es eine Machtzentrierung verbunden mit extremem Arbeitsaufkommen bei Einzelpersonen gab. Auch im Sinne von uns allen, die wir selbst Verantwortung für das Projekt übernehmen wollten. Um das Irgendwo langfristig zu erhalten, braucht es nicht eine Person, sondern viele, die sich auf Augenhöhe begegnen, die bereit sind, die rechtliche Verantwortung für das Projekt zu tragen und die alltägliche Arbeit verbindlich zu übernehmen.

Bis zur Einführung der neuen Struktur wurden alle wichtigen Entscheidungen von einem einzigen exklusiven Gremium, dem sog. Dienstagsplenum getroffen. Dies führte zu Problemen: zu lange Sitzungen, heterogenes Verantwortungsgefühl, unterschiedliche Informationsstände – dadurch viele Konflikte, absolute Zentralisierung der Entscheidungen.

Die neue Struktur besteht aus verschiedenen Ebenen, darunter Arbeitsgruppen (AGs), Fachbereiche, einen “VorstandPlus” und dem sogenannten Forum. 

Die AGs, die im Projekt Irgendwo tätig sind, treffen den Großteil der Entscheidungen des Projekts. Die AGs sind niedrigschwellig zugänglich, und jede*r, die*der mitmachen möchte, kann aufgenommen werden. Die Niedrigschwelligkeit der AG-Struktur zielt darauf ab, Wissenshierarchien abzubauen, Kompetenzen zu entwickeln und die Mitgestaltungsmöglichkeiten zu verbessern und zu erhalten. Zusätzlich sollen sie die Spezialisierung und Professionalisierung in den Arbeitsfeldern fördern. 

Die Fachbereiche bilden die nächste Ebene der neuen Struktur. Es gibt drei Fachbereiche: Veranstaltung, Infrastruktur und Verwaltung. Jeder Fachbereich setzt sich aus Stellvertreter*innen der einzelnen AGs zusammen, die demokratisch von den AGs gewählt werden. Die Stellvertreter*innen repräsentieren die Interessen ihrer AGs und dienen als Schnittstelle zwischen den AGs und den Fachbereichen. Sie treffen AG-übergreifende Entscheidungen.

Der VorstandPlus bildet das dritte Gremium. Er ist zusammengesetzt aus dem „Joker“ und dem Vereinsvorstand. Der*die Joker wird alle sechs Monate vom Forum (allen im Projekt Beteiligten) gewählt, ist stimmberechtigt und kommt aus der Gruppe der vornehmlichen ehrenamtlich Engagierten. Er soll ihre Perspektive vertreten. Die anderen fünf VorstandPlus-Mitglieder werden alle zwei Jahre neu gewählt. Der VorstandPlus trifft repräsentativ für das Kollektiv Entscheidungen, die die Kompetenzen der Fachbereiche überschreiten und das gesamte Projekt betreffen. Dies können Fragen zur konzeptionellen Ausrichtung oder politischen Strategie sein. Der VorstandPlus soll sich maximal 6-8 Mal pro Jahr treffen.

Zuletzt gibt es das Forum, welches viermal im Jahr stattfindet. Hier haben alle im Projekt aktiven Personen die Möglichkeit, teilzunehmen. Das Forum dient dazu, dass der Vorstand, die Fachbereiche und die AGs über ihre Arbeit berichten und Feedback zu den getroffenen Entscheidungen und Vorhaben erhalten.

aufloesung der verbindung mit der ff gbr

Darüber hinaus gab es Veränderungen bezüglich der Organisation des Kulturbeutel e.V. und der Aus dem FF GbR. Aufgrund von Interessenkonflikten durch eine Personalunion (GF Irgendwo UG/Vorstand Kulturbeutel e.V./GF der FF GbR) wurde beschlossen, diese Konstellation zu entflechten. Obwohl dieses Konstrukt finanziell vorteilhaft für den Kulturbeutel e.V. war, führte es dazu, dass eine übermäßige Verantwortung und Entscheidungsmacht getragen wurde. Um die Zukunft des Projekts zu sichern und von Unternehmen und Personen unabhängig zu machen, wurde auf dem letzten Restrukturierungswochenende beschlossen, das Mietverhältnis mit der FF im Laufe der Saison zu beenden. 

Des Weiteren wurde festgelegt, dass technische Bedarfe für Veranstaltungstechnik und Transporter (Sprinter), die bisher von der Aus dem FF GbR gemietet wurden, ermittelt werden. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde im Vorstand ohne die Anwesenheit der Aus dem FF GbR-Mitglieder beschlossen, welche Gegenstände der Verein von der Aus dem FF GbR kaufen und welche über andere Unternehmen beschafft werden sollten. Ein Ratenkaufvertrag wurde vom VorstandPlus beschlossen. Die Nutzung des Transporters der Aus dem FF GbR wird zum nächstmöglichen Zeitpunkt, spätestens nach dem Abbau der Saison 2023, beendet.

kollektivbegriff

Im Rahmen der Restrukturierung wurde auch die Rolle des Kollektivbegriffs für den Konflikt diskutiert. Es wurde erkannt, dass viele subkulturelle Projekte den Begriff des Kollektivs als Aushängeschild nutzen, ohne dass klar definiert ist, was darunter zu verstehen ist. 

Wir haben erkannt, dass die Umsetzung eines politischen Kollektivs mit basisdemokratischen Entscheidungsprozessen ein wertvolles Ideal ist, aber nur mit sehr viel Arbeit erreicht werden kann und teilweise Utopie bleiben muss. Wir sind uns darüber klar geworden, dass das Erreichen dieses Ideals viele Zwischenschritte braucht, um eine real dezentrale und nicht-hierarchische Organisationsstruktur zu schaffen. Dies kann Jahre in Anspruch nehmen bzw. sind wir auf dem Weg dahin. 

Das Irgendwo-„Kollektiv“ ist der Versuch eines selbstorganisierten Kulturbetriebs, den wir gemeinschaftlich gestalten und in dem Entscheidungen in demokratisch gewählten Gremien (meist nach Mehrheitsprinzip) getroffen werden. Wir streben danach, die Verantwortung sinnvoll zu verteilen, um sowohl unserem Anspruch an eine gleichberechtigte Projektgemeinschaft als auch dem Bedarf an Professionalisierung gerecht zu werden. Unsere kollektiven Ziele und Werte könnt ihr im Leitbild (LINK) nachlesen.

macht und privilegien in kollektiven

Das Arbeiten in einem Kollektiv bringt viele Herausforderungen mit sich. In Kollektiven wird versucht, Gleichheit zu erreichen, doch alle Personen haben verschiedene Startbedingungen. Startbedingungen können Privilegien sein: Zum Beispiel, wenn eine Person nicht Lohnarbeiten muss und deshalb mehr Zeit zur Verfügung hat, oder wenn eine Person schon ein abgeschlossenes Studium hinter sich hat und deshalb über mehr Wissen verfügt. In Kollektivstrukturen wird versucht, hierarchiearm zu arbeiten, gleichzeitig braucht es Menschen, die Verantwortung übernehmen. Oft entstehen dadurch informelle Hierarchien. Bei Feststellung dieser Hierarchien entsteht Unzufriedenheit. Meist gegenüber der oder den Person(en), die sich durch das entstandene Ungleichgewicht in der wahrgenommenen Machtposition befinden. Es ist jedoch meistens nicht die Person selbst, die zum Problem wird, sondern ihre Rolle und die Verteilung der Verantwortung im Projekt. Personen, die in einer kollektivistisch definierten Struktur Verantwortung und Führung übernehmen, werden oft wahrgenommen, als würden sie Macht ansammeln und aus einer Position der Stärke heraus handeln und andere kontrollieren. Auf der anderen Seite befinden sich Personen, die beispielsweise ehrenamtlich oder mit weniger Entscheidungsbefugnis tätig sind, oft in einer schwächeren, weniger privilegierten Rolle. Diese Dynamiken sind oft Konsequenzen von Kollektivarbeit, die auch in der Fachliteratur festgestellt werden. (vgl. dazu Rohrberg/Herrmann: Hinter den Kulissen. Kleiner Leitfaden für kollektiv geführte Organisationen) Es gehört zu unserer Perspektive auf den Konflikt im Frühjahr 22, dass wir die generellen Dynamiken des Projekts und nicht des Projektmitbegründer, der im Zentrum des Konflikts stand, als Ursache und Problem identifiziert haben. 

Es ist aber auch deutlich, dass die Personen mit mehr Verantwortung oft einem enormen Druck ausgesetzt sind, unter Zeitdruck Entscheidungen für das Projekt treffen müssen und dann der Kritik ausgesetzt sind. Die Personen, die sich abgehängt fühlen, werden zu ihren „Kritiker*innen“. Dieses Muster führt zu zunehmenden Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit und zu Spaltung. 

Wir haben gemeinsam beschlossen, einen legitimen und transparenten Rahmen für Leadership und die Übernahme von Verantwortung zu schaffen, um sicherzustellen, dass Personen, die in unserem Kollektiv Verantwortung übernehmen, das nicht informell tun. Gleichzeitig streben wir danach, dass mehr Menschen im Projekt Verantwortung übernehmen. Dies ist durch die Implementierung der neuen Struktur, der Erarbeitung von Aufgaben- und Stellenbeschreibungen und die passende Besetzung der neuen Gremien und Stellen zum Großteil bereits passiert. Außerdem gibt es weiterhin die Möglichkeit, leicht über die AG Struktur Teil des Kollektivs zu werden.
Zusätzlich benötigt es weiterhin stetige Arbeit am gegenseitigen Rollenverständnis.

sexismus

Es gibt Sexismus-Vorwürfe gegen das Irgendwo, zu denen wir uns erneut äußern möchten. Diese resultieren aus der verbalen Beleidigung einer weiblich gelesenen Person im Rahmen des Konflikts 2022. Wir möchten diese Beleidigung nicht verharmlosen, jedoch auch betonen, dass dieser Vorfall das Projekt aus unserer Perspektive nicht allgemein zu einem sexistischen Ort macht. Wir sind uns bewusst, dass wir in einer sexistischen Gesellschaft leben und versuchen aktiv, im Irgendwo gegen bestehende sexistische Strukturen zu arbeiten. Wir entwickeln ein internes Awareness-Konzept, um sexistische Vorfälle und Muster im besten Fall zu vermeiden und diese gegebenenfalls aufzufangen. Das ist ein langer Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist, aber wir sehen die Lücken, die es gibt und versuchen, an diesen zu arbeiten. Auf Veranstaltungen besteht ein Awareness-Konzept und es gibt Schichten mit Personen, die dafür verantwortlich sind, dieses umzusetzen. Wir bemühen uns, ein safer space zu sein – für Menschen, die im Projekt aktiv sind, sowie für Besucher*innen. 

wie geht es weiter?

> Bei uns

Wir wissen, dass die Etablierung einer neuen Struktur keine einfache Aufgabe ist und dass dieser Prozess viel von allen Beteiligten fordert. Diejenigen, die Verantwortung abgeben, müssen den Verlust von Kontrolle akzeptieren und zu Beginn Mehraufwand auf sich nehmen, um ihr Wissen an andere weiterzugeben. Diejenigen, die nun mehr Verantwortung tragen, müssen sich Informationen beschaffen, mehr Zeit investieren und die Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen, einschließlich der Konsequenzen von Fehlern. Darüber hinaus müssen wir alle an unseren Kommunikations-, Kritik- und Kompromissfähigkeiten arbeiten. Wir müssen lernen, Entscheidungen zu respektieren, an denen wir nicht beteiligt waren, selbst wenn wir sie nicht zu 100% unterstützen. Wir streben danach, einen „Good enough for the moment – Safe to try“-Ansatz zu verfolgen, der es uns ermöglicht, vorläufige Entscheidungen zu treffen und diese gegebenenfalls anzupassen. In unserem internen Umgang wollen wir einen offenen und sensiblen Umgang mit Fehlern, Spannungen und unangenehmen Themen pflegen.

> In Hinblick auf den Konflikt

Wir erkennen an, dass es den Wunsch nach Befriedung des Konflikts gibt, und haben Gesprächsangebote an die Menschen gerichtet, die am Konflikt beteiligt waren. Die Reaktionen waren unterschiedlich, aber wir glauben weiterhin daran, dass eine friedliche Koexistenz möglich ist. Wir sind offen dafür, die Bedürfnisse der Beteiligten zu hören und Möglichkeiten der Versöhnung zu finden. Gleichzeitig möchten wir betonen, dass es für diejenigen, die weiterhin aktiv am Projekt Irgendwo teilnehmen, wichtig ist, nach vorne zu schauen und die Lehren aus dem Konflikt zu ziehen, um das Projekt weiterzuentwickeln und eine konstruktive Zusammenarbeit zu fördern. Wir haben mehrere Gesprächsangebote ausgesprochen und hoffen auf ein durch eine Mediation begleitetes Treffen. 

> Wir sind noch nicht fertig

Es gibt noch viele Themen, die wir nicht zur genüge bearbeitet haben. Der Status des Ehrenamts im Projekt ist eins davon. Genauso wie die Frage nach dem Umgang mit Sexismen innerhalb und außerhalb unserer Strukturen. Auch werden wir ab jetzt versuchen, die Herausforderungen zu antizipieren, die durch unsere Arbeit als Kollektiv entstehen. Dabei hilft uns, dass wir durch die Vergangenheit nun aufmerksamer durch unseren kollektivistischen Alltag gehen und dass Räume zum Sprechen entstanden sind, die vorher nicht da waren. Neue Menschen sind in Verantwortungspositionen gerutscht, neue Leitungsrollen sind in der Entstehung, aber die neue Struktur braucht weiterhin Zeit, um sich zu etablieren. Und wir arbeiten weiter an uns.

Ihr habt Fragen? Ihr möchtet uns unterstützen? Besucht uns auf der Fläche oder kontaktiert uns auf Instagram (irgendwo_bremen) oder unter oeffi@kulturimbeutel.de